Auftragnehmer müssen die Entwicklungen bei den anerkannten Regeln der Technik beobachten und Auftraggeber über etwaige Änderungen und die damit verbundenen Konsequenzen und Risiken für die Bauausführung informieren.

Auftragnehmer müssen die Entwicklungen bei den anerkannten Regeln der Technik beobachten und Auftraggeber über etwaige Änderungen und die damit verbundenen Konsequenzen und Risiken für die Bauausführung informieren. (Foto: © Vössing)

Anerkannte Regeln der Technik beobachten

Bei der Errichtung einer Fassade hat der Auftragnehmer neben den Regularien des Bauvertrages und ergänzender Regelwerke auch zahlreiche technische Normen, technische Regelwerke sowie auch die anerkannten Regeln der Technik zu beachten.

Nach dem Abschluss des Bauvertrages muss der Auftragnehmer gemäß § 4 Abs. 2 VOB/B die anerkannten Regeln der Technik berücksichtigen. Der § 13 Abs. 1 VOB/B sieht vor, dass die Bauleistung zum Abnahmezeitpunkt den anerkannten Regeln der Technik zu entsprechen hat.

Was gilt, wenn sich die anerkannten Regeln der Technik nach Abschluss des Vertrages, aber noch vor der Abnahme der Bauleistung ändern? Mit dieser Frage haben sich das Oberlandesgericht Koblenz und später auch der Bundesgerichtshof in einer kürzlich veröffentlichten Entscheidung befasst.

Aktueller Fall

Der Auftragnehmer hat den Auftrag, für den Auftraggeber Dachdecker- und Klempnerarbeiten am Neubau eines Seniorenzentrums auszuführen. Im Rahmen der Durchführung des Bauvertrages versieht der Auftragnehmer das Dach des Gebäudes mit einem regensicheren Unterdach der Klasse 3. Die Dacheindeckungsarbeiten werden im November 2012 abgeschlossen.

Im November 2012 entspricht das Unterdach dem einschlägigen Regelwerk des Zentralverbandes des Deutschen Dachdeckerhandwerks. Im Dezember 2012 wird das Regelwerk verschärft. Gemäß der Neufassung des Regelwerks hätte der Auftragnehmer ein wasserdichtes Unterdach der Klasse 1 ausführen müssen. Der Auftraggeber verweigert die Abnahme und argumentiert dahingehend, die Dacheindeckung sei nicht abnahmereif, weil das zur Abnahme vorgestellte Unterdach lediglich regensicher, nicht aber wasserdicht ausgeführt worden sei.

Es kommt zu einem Rechtsstreit, in dem der Auftragnehmer seinen Restwerklohn in Höhe von 74.416,78 Euro nebst Zinsen einklagt. Der Auftraggeber weist im Rechtsstreit darauf hin, dass die erbrachte Leistung mangelhaft, nicht abnahmereif und dass die Werklohnforderung des Auftragnehmers insofern nicht fällig sei (OLG Koblenz, Urteil vom 31.05.2019, Az: 6 U 1075/18; BGH, Beschluss vom 15.04.2020, Az: VII ZR 152/19.

Entscheidung des Oberlandesgerichts Koblenz

Der Auftragnehmer scheitert mit der gerichtlichen Geltendmachung des Zahlungsanspruchs. Das Oberlandesgericht Koblenz arbeitet in seiner Entscheidung heraus, dass dem Auftragnehmer kein fälliger Anspruch auf den geltend gemachten Restwerklohn zusteht, weil eine Abnahme seiner Arbeiten nicht erfolgt und die Werkleistung wegen nicht nur unwesentlicher Mängel auch nicht abnahmereif ist. Hieraus folgert das Gericht, dass die Restwerklohnforderung des Auftragnehmers nicht fällig ist.

Das Oberlandesgericht stellt fest, dass der Auftragnehmer zum Zeitpunkt der Abnahme ein Bauwerk schuldet, dass der vereinbarten Beschaffenheit und den anerkannten Regeln der Technik entspricht. Dies gelte regelmäßig auch bei deren Änderung zwischen Vertragsschluss und Abnahme. Es bestehe – so das Oberlandesgericht – die Vermutung, dass kodifizierte Regelwerke, hier das Regelwerk des Zentralverbandes des Deutschen Dachdeckerhandwerks, die anerkannten Regeln der Technik wiedergeben.

Ein Zurückbleiben der Bauausführung hinter den anerkannten Regeln der Technik sei aus Sicht des Oberlandesgerichts nur dann vertragsgerecht, wenn die Parteien eine entsprechende Vereinbarung getroffen haben. Dies setze jedoch voraus, dass der Auftragnehmer den Auftraggeber auf die mit der Nichteinhaltung der anerkannten Regeln der Technik verbundenen Konsequenzen hingewiesen habe (OLG Koblenz, Urteil vom 31.05.2019, Az: 6 U 1075/18; BGH, Beschluss vom 15.04.2020, Az: VII ZR 152/19).

Für die Praxis

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Koblenz ist keine Einzelfallentscheidung; es liegen mittlerweile mehrere obergerichtliche Entscheidungen mit ähnlichem Inhalt vor. Dementsprechend hat der Auftragnehmer die Entwicklungen bei den anerkannten Regeln der Technik zu beobachten und den Auftraggeber über etwaige Änderungen und die damit verbundenen Konsequenzen und Risiken für die Bauausführung zu informieren.

Im Hinblick auf die Rechtsprechung zu Informationspflichten des Auftragnehmers sollte dieser darauf achten, dass seine Mitteilung für den Auftraggeber klar, nachvollziehbar und verständlich ist. Verlangt der Auftraggeber im Rahmen einer vom Auftragnehmer herbeigeführten Klärung, dass die "neuen" anerkannten Regeln der Technik eingehalten werden, kommt für den Auftragnehmer ein Anspruch auf Mehrvergütung in Betracht (vgl. BGH, Urteil vom 14.11.2017, Az: VII ZR 65/14).

Bleibt der Auftragnehmer insoweit untätig, riskiert er einen berechtigten Mangelhinweis des Auftraggebers, der ihm vorwirft, er habe eine für seine Bauleistung relevante Änderung der anerkannten Regeln der Technik weder mitgeteilt noch eine entsprechende Klärung mit seinem Vertragspartner herbeigeführt und damit eine mangelhafte Leistung erbracht.

Der Autor: Rechtsanwalt Jörg Teller ist Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht in der Frankfurter Kanzlei SMNG Rechtsanwaltsgesellschaft mbH.


Weitere Informationen: Den bebilderten Fachartikel als PDF-Datei herunterladen: Anerkannte Regeln der Technik beobachten