Zirkularität funktioniert: In einem Gemeinschaftsprojekt haben das Glasunternehmen Saint-Gobain-Glass und der Aluminiumsystemgeber Wicona gemeinsam mit dem Metall- und Fassadenbauer Lenderoth diese Fassade des Firmensitzes in Bremen revitalisiert. Durch konsequentes Recycling der Altelemente und den Einsatz von CO2-reduzierten Materialien konnten bei der Erneuerung 25 Tonnen CO2 eingespart werden.

Zirkularität funktioniert: In einem Gemeinschaftsprojekt haben das Glasunternehmen Saint-Gobain-Glass und der Aluminiumsystemgeber Wicona gemeinsam mit dem Metall- und Fassadenbauer Lenderoth diese Fassade des Firmensitzes in Bremen revitalisiert. Durch konsequentes Recycling der Altelemente und den Einsatz von CO2-reduzierten Materialien konnten bei der Erneuerung 25 Tonnen CO2 eingespart werden. (Foto: © Vössing)

glasstec zeigt Wandel im Fassadenbau

"Hot-Topics" der glasstec 2024 "Dekarbonisierung", "Digitalisierung" und "Kreislaufwirtschaft" bestimmen auch die Trends im Fassadenbau.

Dass diese drei Schwerpunktthemen der Weltleitmesse der Glasbranche auch im Fassadenbau hochaktuell sind, bestätigen mit Prof. Dr.-Ing. Ulrich Knaack, Fachgebietsleiter Fassadentechnik an der Technischen Universität Darmstadt und Leiter des Lehrstuhls "Design of Construction" an der TU Delft, sowie Prof. Dr.-Ing. Linda Hildebrand, Juniorprofessorin für rezykliergerechtes Bauen an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen, zwei ausgewiesene Experten.

Neben der Wichtigkeit von "Low-Carbon-Produkten" und Fassaden mit einem "Design-for-disassambly" prognostizieren beide einen wachsenden Markt für gebrauchte Bauelemente, vor allem wegen des unmittelbar nutzbaren positiven Impacts für den Ressourcen- und Klimaschutz.

Nachhaltige Werkstoffkreisläufe

Prof. Dr.-Ing. Ulrich Knaack, Fachgebietsleiter Fassadentechnik an der Technischen Universität Darmstadt und Leiter des Lehrstuhls Design of Construction an der TU Delft, sieht kurzfristig viel Potenzial für nachhaltiges Bauen in der Wiederverwendung (Re-Use) von Fassadenprodukten. Foto: © Ulrich KnaackProf. Dr.-Ing. Ulrich Knaack, Fachgebietsleiter Fassadentechnik an der Technischen Universität Darmstadt und Leiter des Lehrstuhls Design of Construction an der TU Delft, sieht kurzfristig viel Potenzial für nachhaltiges Bauen in der Wiederverwendung (Re-Use) von Fassadenprodukten. Foto: © Ulrich Knaack

Das Bauen passt sich mehr und mehr an die Erfordernisse an, die schwindende Ressourcen, Klimawandel und die notwendige Energiewende mit sich bringen. Künftig sollen "Digitale Zwillinge" von Gebäuden, vom Beginn ihrer Planung, über ihre Sanierungszyklen bis hin zu ihrem "Gebäudelebensende" und dem Wiedereintritt der in ihnen gebundenen Rohstoffe und Materialien in technische Kreisläufe transparent abbildbar werden. Zugang zu den Materialauswahlprozessen in der Planung werden dann nur zertifiziert nachhaltige und kreislauffähige Produkte und Materialien haben.

Erste Hersteller, auch in der Flachglasindustrie, haben bereits Wege gefunden, um ihre CO2-Emissionen in ersten Produktionsstätten sowie vor- und nachgelagerten Prozessen zu reduzieren und beginnen "Low-Carbon"-Varianten neben den Serienprodukten anzubieten, mit kleinerem CO2-Footprint. Werden die Umweltauswirkungen dieser Produkte in einer Environmental Product Declaration (EPD) nachgewiesen, erleichtern sie die Nachhaltigkeitszertifizierungen von Gebäuden nach DGNB, LEED oder BREEAM.

Prof. Dr.-Ing. Ulrich Knaack, Fachgebietsleiter Fassadentechnik an der Technischen Universität Darmstadt sieht in Low Carbon-Produkten im Fassadenbau einen von mehreren großen Trends, schränkt aber ein: "Langfristig ist das Gelingen sehr abhängig von einer europäischen Umstellung auf Green Energy und grüne Wasserstoffproduktion. Auf diese Themen haben Ingenieure auf dem Bau aber leider nur bedingt Einfluss."

Re-Use: Skalierbar, direkt wirksam, disruptiv

Knaack sieht das größte langfristige Potenzial im Recycling und, kurzfristiger, im "Re-Use" von Materialien: "Es gibt sowohl im Fassadenbau als auch in der Sanierung eine steigende Nachfrage nach erneut einsetzbaren Materialien wie Glasscheiben, die aus Altbauten stammen, denn sie bergen das Potenzial, den CO2-Footprint eines neuen oder sanierten Gebäudes sogar weiter zu reduzieren, als es mit neuen Produkten möglich wäre – sie sparen Ressourcen und Energie. Hier muss man jedoch abwägen, wann sich ein Re-Use mehr lohnt und wann das Recycling der Materialien sinnvoller ist."

In Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis Klima und Nachhaltigkeit des Bundesverbandes Flachglas e.V. wird an der Uni Darmstadt von Dr. Miriam Schuster derzeit ein Ranking-System für Glasscheiben aus gebrauchten Isoliergläsern entwickelt. Der "Re-Use" von Isoliergläsern bietet sich zum Beispiel an, wenn sie die erforderliche mechanische Festigkeit und einen brauchbaren Ug-Wert besitzen.

Ist dies nicht gegeben, können Isoliergläser aufgetrennt, zerlegt, aufgearbeitet und erneut zu Isolierglas verarbeitet werden. Weist das Glas hingegen Kratzer, Glas- oder Schichtkorrosion, Fehler oder Kantenbeschädigungen auf, ist es sinnvoller, wenn es in Form von Scherben in den Stoffkreislauf zurückgeführt wird.

Noch viele Fragen offen

Prof. Knaack glaubt, dass das Thema Re-Use eine starke disruptive Kraft besitzen könnte, also das Potenzial hätte, einen Markt sinnbildlich auf den Kopf zu stellen: "Mit Re-Use lassen sich unmittelbare Fortschritte in Richtung Klimaneutralität erzielen, insbesondere wenn man an die Möglichkeiten des Upscalings denkt, das durch jüngst verfügbar gewordene Technologien zur automatisierten Trennung von Bestands-Isolierglas greifbar nah ist. Re-Use könnte in viele Prozesse und in sämtliche Phasen der Planung von Gebäuden vordringen."

Knaack weist jedoch auf noch ungeklärte Fragestellungen hin: "Wer lagert die Isoliergläser aus Altbauten und wie kommen sie in erforderlicher Qualität aus dem Abriss – nicht jedes Gebäude ist sorgsam rückbaubar. Und wieviel sind die Verglasungen dann noch wert? Es ist zu erwarten, dass in den nächsten Jahren mehr und größere Plattformen entstehen, die diese wertvollen Materialien und Rohstoffe sammeln und anbieten – quasi ein Ebay für gebrauchte Baumaterialien."

"CircuClarity" für eine transparentere Kreislaufwirtschaft

Prof. Dr.-Ing. Linda Hildebrand ist der Überzeugung, dass der Wandel von einer linearen zu einer zirkulären Bauwirtschaft unabdingbar ist und einen enormen Impact für die Abfallvermeidung, Klima- und Ressourcenschutz zur Folge hat. Foto: © Linda HildebrandProf. Dr.-Ing. Linda Hildebrand ist der Überzeugung, dass der Wandel von einer linearen zu einer zirkulären Bauwirtschaft unabdingbar ist und einen enormen Impact für die Abfallvermeidung, Klima- und Ressourcenschutz zur Folge hat. Foto: © Linda Hildebrand

Prof. Dr.-Ing. Linda Hildebrand, Juniorprofessorin für rezykliergerechtes Bauen an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen, forscht in der gleichen Richtung, nicht nur beim Glas, sondern bei allen Baustoffen. Denn leider fallen noch immer mehr als die Hälfte der gesamten Abfälle in Deutschland im Baubereich an und der Ressourcenhunger sinkt trotz nachhaltigerer Produkte zu langsam. Der Wandel von einer linearen zu einer zirkulären Bauwirtschaft ist darum unabdingbar und hätte enormen Impact für die Abfallvermeidung, Klima- und Ressourcenschutz. Ein wirklicher Wandel ist noch nicht erreicht, auch weil die Baubranche zu komplex und kleinteilig erscheint, um einen wirklich tiefgreifenden Systemwandel schnell zu erreichen.

Linda Hildebrand und Lisa Rammig, Fassadenspezialistin bei Eckersley O`Callaghan (EOC), möchten mit ihrer internationalen Initiative "CircuClarity" Industrie und Forschung näher zusammenbringen. "In der Betriebsphase von Gebäuden wurden der Energiebedarf und die Emissionen in den letzten Jahren bereits stark reduziert, soweit wie es nach dem Stand der Technik derzeit möglich ist. Der Fokus verschiebt sich darum auf die Ressourcen und die Graue Energie", so Hildebrand.

"Ein ökologisches Gebäude definiert sich über die Eigenschaften seiner Materialien." Viele Unternehmen gestalten neue Produkte heute entsprechend dem Ansatz ‚Design-for-disassambly‘. Das ist eine Stärke des Fassadenbaus. So können beispielsweise Pfosten-Riegel-Konstruktionen leicht rückgebaut werden. Die erneute Verwendung oder Aufbereitung von Systemen, Komponenten und Materialien wird also für morgen mitgeplant und erleichtert.

Ertüchtigung als Alternative zum Austausch

Der Alt-Elemente aus Aluminium werden in der Fassadenbranche bereits umfänglich über Sammelsysteme zurückgeführt und für den Wiedereinsatz bei der Herstellung von frischem Aluminium aufbereitet. So kann der CO2-Fußbabdruck von Neumaterial gesenkt werden, allerdings nicht in dem Maße wie beim Re-Use von Bauprodukten, also den erneuten Einbau bereits existierender Bauteile an anderer Stelle oder der Ertüchtigung der Bauteile. Foto: © VössingDer Alt-Elemente aus Aluminium werden in der Fassadenbranche bereits umfänglich über Sammelsysteme zurückgeführt und für den Wiedereinsatz bei der Herstellung von frischem Aluminium aufbereitet. So kann der CO2-Fußbabdruck von Neumaterial gesenkt werden, allerdings nicht in dem Maße wie beim Re-Use von Bauprodukten, also den erneuten Einbau bereits existierender Bauteile an anderer Stelle oder der Ertüchtigung der Bauteile. Foto: © Vössing

Hildebrand: "Was zum Beispiel Glas betrifft, ist ja bekannt, dass man es theoretisch unendlich oft recyceln kann, aber wir können noch viel früher ansetzen, um Fenster zu ertüchtigen oder eine Scheibe davorzusetzen und es einfach weiter im Bestand zu lassen." Großes Potenzial sieht darum auch Hildebrand im Re-Use von gebrauchten Bauteilen, der hochskaliert eine unmittelbare, positive Wirkung auf die Klimaneutralität haben könnte. "Hier ist die große Herausforderung heute vor allem das Auffinden von sekundären Rohstoffen und Materialien und das Verwalten von Produkt- und Umweltdaten."

Mit ihrem B2B-Unternehmen "Concular" vermittelt sie darum bereits gebrauchte Bauteile und berät bei Problemlösungen, die den Abbruch von Gebäuden betreffen. Ein Beispielprojekt mit Modellcharakter ist das Rückbauprojekt der Solar-Produktionsfabrik Adlershof. Die Verwaltungsgebäude und die Produktionshalle wurden nicht nur rückgebaut, sondern "eins zu eins" in Rumänien wiederaufgebaut, die Ressourcen wurden im Kreislauf gehalten und CO2-Emissionen für einen Neubau vermieden.

Spannende Entwicklungen zeigt die glasstec mit gleich zwei Konferenztagen zum Thema "CircuClarity One", die Besucher am 23. und 24. Oktober auf der glasstec in Düsseldorf erwarten. Hier werden Erfahrungen aus den Bereichen "Secondary Resources", "Design for Disassembly / Product Development", "Material Recovery Systems / Energy" und "Data and Communication" geteilt und bereits entwickelte (Teil-)Lösungen aufgezeigt.


Weitere Informationen: www.glasstec.de