Urban Mining, (Gebäude als Rohstoffquellen) ist der Schlüssel zur Klimaneutralität, denn nur etwa die Hälfte der gesamten CO2-Emissionen bei Neubauten fallen im Betrieb an. Die andere Hälfte, die "graue Energie", erzeugen Herstellung und Transport von Baumaterialien sowie der Abriss und die Entsorgung. Diese CO2-Emissionen sind es, die sich durch mehr Re-Use, Re-Manufacturing und Recycling am effektivsten mindern ließen.
Für die Flachglasindustrie ist die Kreislaufwirtschaft ökologisch wie wirtschaftlich eines der wichtigsten Themen der Dekade, denn zurückgeführte Scherben sparen Rohstoffe, senken die Ofentemperatur bei der Glasschmelze und sparen wertvolle Energie. Zugleich erzeugt ein Kilogramm Floatglas aus Recyclingglas, im Vergleich zum Einsatz eines nur aus Rohstoffen bestehenden Glasgemenges, etwa 0,3 Kilogramm weniger CO2.
Ein Problem ist aber, dass es zu wenig Scherben aus abgerissenen oder rückgebauten Altbauten und der Modernisierung gibt und die recycelten Materialströme nicht im erstrebenswerten Umfang zurück in die Flachglasindustrie fließen.
Zu wenig Architekturglas fließt zurück in die Produktion
Noch immer werden beim Abriss von Gebäuden oder Modernisierungen kaum Materialkreisläufe nach dem Modell des "Closed- Loop-Recyclings" erzielt. Glas aus der Architektur wird noch zu selten zu neuem Architekturglas. Am Recycling prozessbeteiligt sind Floatglashersteller und -verarbeiter, Monteure im Fensterbau, die großen Recycler und Endnutzer.
Ein pefekter zirkulärer Kreislauf sieht wie folgt aus: Ein durch den Gebäuderessourcenpass (DGNB) digital erfasstes Gebäude hat sein Lebensende erreicht, wird sorgsam rückgebaut, die Materialen werden aufgearbeitet und "re-used", also noch einmal genutzt. Wo dies nicht möglich ist, werden die Rohstoffe sauber getrennt, dem Recycler zugeführt, der sie aufarbeitet und die hochwertigen Flachglasscherben wieder den Floatglasherstellern zuführt. Die Realität jedoch ist eine andere:
Nach dem "Lebensende" von Gebäuden erreichen nutzbare Materialien die Recycler oft als "Bauschutt". Wird nicht abgerissen, sondern rückgebaut, sieht es besser aus. Hier wird quasi "rückwärts zur Errichtung" abgebaut, um wertvolle Rohstoffe oder Teile der Grundstruktur des Gebäudes zu erhalten. Die Materialien werden aufwändig getrennt und aufbereitet.
Aber auch auf dem Recyclinghof lauern Gefahren für die Reinheit der Materialien. Nicht immer verbringen Gewerbetreibende und Endverbraucher ihre Altmaterialien in die richtigen Container. Das Resultat sind kontaminierte Materialien. In der Flachglasherstellung können aber schon geringfügige Kontaminationen des Glasgemenges die Produktion empfindlich stören und zu langwierigen und teuren Produktionsausfällen führen. Selbst wenn ein Recyclingunternehmen feststellt, dass die Qualität seiner Scherben stimmt, bleibt ihm ein "gefühltes" Restrisiko. Im Zweifelsfall verkauft es doch lieber an die Hohlglas- oder Dämmstoffindustrie, die geringere Reinheitsansprüche haben.
Sorgsamere Materialtrennung erforderlich
Es müssen also Lösungen gefunden werden, die Materialpools besser vor Verunreinigung zu schützen. Dafür muss das allgemeine Bewusstsein für den Wert von Materialien erheblich wachsen. Für eine Verbesserung der Situation könnte auch sorgen, wenn Schnittstellen der Glasindustrie zu den Systemgebern mit Rewindo (Recycling von Kunststoffen aus Altfenstern) und AIUIF (Aluminium- Recycling) geschaffen werden, um aus diesen bereits gut funktionierenden Recyclingsystemen abfallende Isoliergläser in möglichst hoher Qualität zu sichern.
Was für die Recycler bereits gut funktioniert, ist die Zusammenarbeit mit glasverarbeitenden Unternehmen. Scherben, die zum Beispiel aus dem Zuschnitt bei der Isolierglasproduktion abfallen, werden beim Recycler gesondert gepoolt und den Floatglas produzierenden Unternehmen zugeführt. Allerdings konkurrieren die Floatglashersteller um die Scherben, und steigende Kosten für Maut und Transporte zu den Standorten der Schmelzen lassen die Scherbenpreise ebenfalls steigen.
In diesem Kontext suchen die Hersteller zur Erhöhung ihrer Recyclingquote nach eigenen Wegen, Abbruch-, Rückbau- oder Sanierungsprojekte schon in der Ausschreibungsphase zu identifizieren, um dann eine individuelle Abholung und Aufbereitung mit den Recyclern zu organisieren.
Mengenproblem: Architekturglas ist langlebig
Eine schnelle und signifikante Erhöhung des Scherbenanteils gestaltet sich durch die viel zu geringe Gesamtmenge des Glases aus dem "End-of-Life" von Gebäuden und Komponenten allerdings als schwierig, denn Floatglas ist ein sehr langsam drehendes Wirtschaftsgut. In den kommenden Jahren erreichen Materialien aus in den 1970er-, 80erund 90er-Jahren erbauten Gebäuden die Wertstoffhöfe.
Bis Dreifach-Isoliergläser und großformatige Fassadengläser fürs Recycling zur Verfügung stehen, wird es noch dauern. Laut den letzten veröffentlichen Zahlen des Bundesverbandes Flachglas e.V. fallen in Deutschland jährlich etwa 521.000 Tonnen Scherben an.
Davon stammen 350.000 Tonnen aus Altgebäuden, die restlichen 171.000 Tonnen gelangen aus glasverarbeitenden Betrieben mit deutlich höherer Reinheit zum Recycler. Demgegenüber stehen jährlich 1,67 Millionen Tonnen Floatglas, die für den Einsatz in Gebäudeanwendungen neu in den Markt gelangen. Aufgrund der zuvor genannten Umstände fließen insgesamt jedoch nur 101.000 Tonnen (19 Prozent) einem modernen "Closed-Loop" folgend vom Recycler zurück in die Floatglas- Wannen.
Der größere Teil, rund 235.000 Tonnen (45 Prozent), verlässt den Closed-Loop in Richtung Hohlglas, weitere 165.000 Tonnen (32 Prozent) gelangen in die Produktion von Dämm-Materialien und weiterer mineralischer Baustoffe. Rund 20.000 Tonnen (4 Prozent) der Scherben landen auf Deponien. Rechnet man die Scherben aus Produktionsbetrieben hinzu, wären rechnerisch rund 40 bis 50 Prozent Recyclingquote bei den Floatglasherstellern realisierbar – wenn die Scherben nicht auch in anderen Industrien gebraucht würden. Selbst wenn Lösungen gefunden werden, um die bestehenden Scherben aus Altgebäuden in idealer Qualität zu bergen, wird bis auf Weiteres nicht mehr als ein Drittel der jährlich in den Markt eingebrachten Gesamtmenge an Glas aus Gebäuden zu schöpfen sein. Ein größerer Zuwachs wird erst dann realisierbar, wenn die ersten Dreifachverglasungen, größere Scheibenformate und Glasfassaden aus Gebäuden zurückkommen.
Neue Konzepte: Fenster und Verglasungen leasen
Um sich "End-of-Life"-Isoliergläser und Scherben zu sichern, sind auch herstellereigene Netzwerke und Systeme prüfenswert, Dieser Meinung ist auch Tim Janßen, geschäftsführender Vorstand und Mitbegründer des gemeinnützigen Cradle to Cradle NGO: "Herstellerunternehmen sollten in ihrem eigenen Interesse daran arbeiten, neben ihrem Produkt auch ihr Geschäftsmodell an Cradle to Cradle zu orientieren und zirkulär zu gestalten.
Das kann beispielsweise bedeuten, Glas als Service in ein Gebäude für eine bestimmte Nutzungszeit einzubringen, um nach Ablauf dieser Zeit das Produkt und die darin enthaltenen Rohstoffe zurückzuerhalten, anstatt das Eigentum daran zu verkaufen."
Re-Use, Re-Manufacturing und Recycling
"End-of-Life"-Isoliergläser, also Isos aus Altbauten, können auf unterschiedliche Weise zu einem "zweiten Leben" kommen. Der Begriff "Re-Use" bezeichnet den Wiedergebrauch von Isoliergläsern als Komponente an anderer Stelle, wenn sie noch die erforderliche mechanische Festigkeit besitzen und über den erforderlichen Ug-Wert verfügen.
Geht das nicht, kann das Isolierglas "re-manufactured" werden, indem es entweder ertüchtigt wird (z.B. Wiederbefüllung mit Argon) oder aufgetrennt und in einzelne Komponenten zerlegt, aufgearbeitet und zu einem "neuen" Isolierglas verarbeitet wird.
Ergibt die Prüfung, dass auch das nicht möglich ist, wird das Glas als Scherben in den Stoffkreislauf zurückgeführt. Hiermit beschäftigt sich aktuell der Fachverband Konstruktiver Glasbau e.V. in seinem "Arbeitskreis Nachhaltigkeit", vor allem um technische und idealerweise normative Fakten zu schaffen. Aktuell gibt es keine Grundlagen, die Planern und Ausführenden als Richtlinie oder Orientierung dienen können, um Glas aus Bestandsgebäuden für neue Anwendungen zu qualifizieren.
Geprüft wird auch, ob die gültigen technischen Regelwerke Verwendung finden können oder abgestufte Qualitätsanforderungen definiert werden müssen. Einen detaillierten Blick auf das Untersuchungskonzept und den aktuellen Stand gibt der Zwischenbericht 9/2023 des Arbeitskreises, künftig soll daraus ein Leitfaden "Handlungsempfehlungen RGlas" abgeleitet werden.
Automatisiertes Trennen von End-of-Life-Isoliergläsern
Der Re-Use und das Re-Manufacturing von Isoliergläsern finden in ersten Projekten (natürlich mit Zustimmung im Einzelfall (ZiE) und vorhabenbezogener Bauartgenehmigung (vBG) bereits statt und sind ein wichtiger Ansatz, der Ressourcen schont, den CO2-Footprint von Gebäuden verringert und ein wenig neu produziertes Glas einspart.
Bislang bestand, neben dem komplexen deutschen Baurecht, vor allem das handwerkliche Problem, dass sich robust gebaute Isoliergläser nicht so einfach sauber trennen ließen. Der Prozess findet bislang in Handarbeit statt. Hier finden Maschinenhersteller wie Hegla derzeit vielversprechende und wirtschaftlichere Lösungen: Mit der "IG2Pieces-Anlagentechnik" entwickelte das Unternehmen eine Technologie, mit der die Gläser von Isolierglas- Einheiten sauber und ohne Beschädigung vom Abstandhalter getrennt werden können.
Auch die Versiegelungsmasse soll nahezu rückstandsfrei und vollautomatisch entfernt werden. Sind die Einzelscheiben aus dem Verbund gelöst, können sie ohne Minderung der Rohstoffqualität "re-manufactured" oder im "Closed-Loop" der Floatglashersteller recycelt werden. Das Separieren hochwertiger Scheiben zur Wiederverwendung wird durch den automatisierten Prozess vor allem mit der steigenden CO2-Bepreisung wirtschaftlich zunehmend attraktiv.
Auch mehr Standardisierung hilft. Sie würde in geeigneten Gebäudekategorien die serielle Fertigung vereinfachen, die Rücknahmesysteme für Re-Use, Re-Manufacturing und Recycling wären leichter zu organisieren und Herstellerlösungen zum Trennen von Isoliergläsern sofort wirtschaftlich.
Weitere Informationen: Den bebilderten Fachartikel als PDF-Datei herunterladen: Herausforderung Kreislaufwirtschaft
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